Jakob van Hoddis ist vor allem bekannt geworden mit seinem Gedicht "Weltende", das vor allem mit seinem "Irrsinn" Probleme, aber auch Ängste der Zeit um den Ersten Weltkrieg herum
präsentiert.
Von ihm stammt aber auch ein sehr interessantes Gedicht, das der Realität der Industriewelt eine (oder gar mehrere?) Alternative entgegensetzt.
Ausgangspunkt für die Aufnahme dieses Gedichtes war übrigens die Mail von einer Anna aus einem Oberstufenkurs:
Mich stört am Expressionismus, dass sehr viele negative Gedichte präsentiert werden. Gibt es nicht auch was Positives?
Nun, auch wir lieben das Positive und haben auch was gefunden - und dann auch noch von Jakob van Hoddis, dem das nicht jeder zutraut ;-)
Vielleicht hilft es ja auch anderen weiter.
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Jakob van Hoddis
Morgens
01: Ein starker Wind sprang empor.
02: Öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.
03: Schlägt an die Türme.
04: Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der Stadt.
05: Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.
06: Durch Wolken pflügen goldne Engelpflüge.
07: Starker Wind über der bleichen Stadt.
08: Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden Strom.
09: Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.
10: Viele Weiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.
11: Im bleichen Licht. Wild von der Nacht. Ihre Röcke wehn.
12: Glieder zur Liebe geschaffen.
13: Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.
14: Sieh in das zärtliche Licht.
15: In der Bäume zärtliches Grün.
16: Horch! Die Spatzen schrein.
17: Und draußen auf wilderen Feldern
18: singen Lerchen.
Kurzvorstellung des Gedichts:
Das Gedicht ist relativ unbekannt, macht aber sehr gut deutlich, was sich an einem Morgen ändert, wenn die Menschen „zur
Maschine“ müssen und eine alternative Welt von Zärtlichkeit und Natürlichkeit verlassen müssen. Am Ende steht aber auf jeden Fall der Appell, zumindest an diese andere Welt zu
denken.
Klausurbedeutung: @@@@
(Die Anzahl der @-Zeichen macht unsere Einschätzung der Klausurbedeutung sichtbar – wie die Sternchen bei
Hotel-Bewertungen!)
Das Gedicht ist in weiten Teilen gut verständlich. Lediglich die Zeile 06 könnte Schwierigkeiten machen.
06: „Durch Wolken pflügen goldne Engelpflüge.“ Möglicherweise soll hier schon einmal kurz der Gegensatz zwischen Idealität (Engel) und Realität „pflügen“ = Arbeit klargemacht
werden.
Anregungen:
1. Ganz allgemein haben wir versucht, die
Farben rot, gelb und grün im Sinne von eindeutig negativ, tendenziell negativ und positiv zu verwenden. Die Farbe blau markiert zwei Stellen, die aus ihrem Umfeld gewissermaßen ausbrechen, was
geklärt werden sollte.
2. Wofür stehen „blutende Tore“ in Zeile 02 – ein besonders brutaler Aspekt, der im weiteren Verlauf des Gedichtes nicht mehr aufgenommen wird? Vielleicht soll nur verdeutlicht werden, wie hart es
für die Menschen ist, jetzt wieder einen ganzen Tag in fremdbestimmter Umgebung, ohne „Liebe“ und Natur vor sich zu haben. Das ginge dann in Richtung: Es blutet ihnen das Herz.
3. Die scheinbar positiven Elemente zu Beginn der Zeile 04 sollen vielleicht zeigen, wie scheinbar schön dieser Morgen gestaltet wird, während er das real gar nicht ist. Das würde auch zu Zeile 06
passen.
4. Wie ist der Schlussteil zu verstehen. Ist das ein realer Appell, nicht zur Arbeit zu gehen? Oder sind das nur bessere Stimmen eines „inneren Teams“, das es bei jedem Menschen gibt – mit
widerstreitenden Empfindungen und Gedanken?
5. Ist das Nachtmotiv in Zeile 11 ein Anklang an die Romantik?
6. Welche Situation heute wäre vorstellbar, in der man gewissermaßen gezwungen ist, einen sehr unangenehmen Weg einzuschlagen, bei dem einem das Herz „blutet“, während zumindest in Gedanken ein
anderer einen lockt.
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